Donnerstag, 21. November 2013

Türkisches Kino: The Particle und Watchtower



Endlich Exground. Das kleine aber feine Filmfestival, was eigentlich in seinem Ausmaß gar nicht zu einer Landeshauptstadt passt. Aber in seinem doch bescheidenen Rahmen doch etwas Gemütliches besitzt. Wie dem auch sei fing das Festival für mich persönlich - obgleich der diesjährige Fokus auf die neuseeländische Filmszene gerichtet ist - mit zwei türkischen Filmen an, die ganz für sich alleine schon eine kleine Premiere darstellten, da ich bis zu diesem Moment nie hinter den Horizont des deutsch-türkischen Integrationsfilm geblickt habe.


Wie dem auch sei. In The Particle (OT: Zerre) treffen wir auf eine alleinerziehende Mutter, die sich sowohl um ihre erkrankte Tochter als auch um ihre eigene Mutter kümmern muss. In der Großstadt, in der jeder händeringend nach Arbeit sucht, gelingt dies jedoch weniger gut, sodass sie einen Job in einer außerhalb ansässigen Fabrik annimmt., um zumindest den schon sehr tiefen Lebensstandard im Elendsviertel aufrechtzuhalten.



Erdem Tepegöz versucht in seinem Filmdebüt der Frage nach dem Sinn des Daseins einen Grund zu geben. Was bleibt vom Leben übrig, wenn man tagtäglich nah am Existenzniveau lebt und nicht weiß, ob man morgen sein derzeitiges Sein nicht aufgeben muss. Wenn alles am seidenen Faden und von der Gutmütigkeit der Arbeitgeber abhängt, ob man abends etwas zu Essen bekommt. Wenn man nicht weiter hinabfallen will und mit letzter Willenskraft seine Würde behält, auch wenn die Lage tagtäglich hoffnungslos erscheint. Das alles verpackt The Particle ungemein gut. Besonders Jale Anhan als Hauptdarstellerin hilft dabei, dass sich der Zuschauer in diese Lage hineinfühlt. Ihre Art zu spielen verleiht dem Film dort Stärken, wo seine Inszenierung Schwächen aufweist.
The Particle versucht anhand eines Einzelschicksals den Schluss auf das Ganze zu ziehen und uns aufzuzeigen, dass wir nur kleine Teilchen eines riesigen Universums sind. Viele Szenen und Aufnahmen, die zwischen der Haupthandlung eingespielt werden, versuchen auch diesen Brückenschlag hinzubekommen, scheitern aber leider und bleiben halbfertig liegen. So bleibt The Particle, besonders nach seinem doch sehr abrupten Ende ein substanzloser Film, der einem nicht lange in Erinnerung bleiben wird.

Watchtower (OT: Gözetleme Kulesi) hingegen wird mir persönlich länger in Erinnerung bleiben und war der Überraschungsfilm des Abends, wenn nicht sogar des Festivals. Der Film erzählt die Geschichte zweier Menschen, die sich begegnen. Nihat nimmt die Stelle als Feuerwächter auf einem hoch- und einsam gelegenen Wachturm an. Traumatisiert von einem schicksalhaften Unfall versucht er in der drückenden Einsamkeit seine Erinnerung zu verarbeiten. Seher hingegen nimmt gleichzeitig unten im Tal den Job einer Reiseleiterin bei einem Busunternehmen an. Auch hinter ihr verbirgt sich eine traurige Vergangenheit, die im Laufe der Handlung in überraschender Weise aufgedeckt wird. Dabei versteht es der Film nicht gänzlich das Melodrama zu sein, sondern lässt den Zuschauer auch in vielen Szenen ungewollt schmunzeln, lässt ihn jedoch niemals zur Gänze vom Weg abkommen.Ein großartiger Film, der vor allem gegen Ende zu einem dramatischen und vollkommen unabsehbaren Feuerwerk einlädt.



Die Inszenierung von Regisseurin Pelin Esmer ist zurückhaltend, Esmer lässt sich Zeit. Gibt ihren Charakteren Zeit sich zu entwickeln bevor es zur Konfrontation zwischen ihnen kommt. Umso intensiver zeigen sich die gemeinsamen Szenen der beiden Protagonisten. Schön ist es, wie Esmer es schafft, trotz des kitschig anmutenden Themas (zwei Seelen finden sich), sich den Ton des Films betreffend nicht in abgedroschene Romanzenversatzustücke flüchtet. Was Pelin Esmer beinahe nebenher auch noch schafft ist ein rundes Bild einer türkischen Gesellschaft auf dem Sprung in die Moderne. Esmer zeigt verschiedene Probleme auf und rüttelt klammheimlich am noch bestehenden patriarchalischen System. Watchtower ist mein bisheriger Geheimtipp.

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