Während uns Illies Monat für Monat durch das Jahr führt,
fließen Geschichten und Anekdoten mal angenehm geschmeidig ineinander, wenn
sich Stalin, Hitler und der spätere jugoslawische Diktator Tito gleichzeitig
für kurze Zeit in Wien aufhalten. Und alle drei wirken wie „Statisten, so könnte
man meinen, ohne eigenen Text im großen Schauspiel Wien um 1913“. Ein anderes
Mal sind es wieder scharfe Kanten und Kontraste zwischen den einzelnen
Charakteren oder Ereignissen, die den Scharm des Buches ausmacht. „Rainer Maria
Rilke hat Schnupfen“ und das, während Virginia
Woolf vom Schicksal der Frauen in diesem Jahr 1913 schreibt: „Da im Hintergrund
spielte es sich also ab, dies seltsame stumme Leben, das niemals zur
Darstellung gelangt.“ Die Frau als verstummte und ungehörte Figur und damit ein
kleiner Seitenhieb vielleicht auch auf die Sexismusdebatte des Jahres 2013?
Überhaupt stellt uns das Buch vor zwei diametral verlaufende Wahrnehmungsschemata:
Einerseits die absolute Modernität und Zeitlosigkeit, die Lebendigkeit der
Protagonisten im Jahr 1913 und andererseits das Eintauchen in eine völlig andere Welt, in
der sich Franz Marc und Wassily Kandinsky zum malen treffen und Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn in zerstörerischer Liebe zueinander entflammen. Dabei stehen diese uns wohlbekannten Namen im
grausamen Kontrast zu den Persönlichkeiten, denen unsere Aufmerksamkeit im Jahre 2013 geschenkt wird:
Sylvie van der Vaart, Boris Becker oder Lady Gaga. Oswald Sprengler, der 1913 am Untergang des Abendlandes schreibt, hätte den Verfall der Kunst im Jahre 2013
nicht besser darstellen können als Illies in dem er die heutige Realität der
Erzählung von 1913 gegenüberstellt.
Illies hat eine Impression vom Jahr vor dem Ersten Weltkrieg geschaffen und stanzt damit eine Stimmung in Letter, die uns mit
tiefem Bedauern zurücklässt. Denn diese künstlerische Traumwelt, in der man
Kafka gerne schüttelnd zur Vernunft bringen mag und mit Picasso und Matisse einen
trinken möchte, sollte sehr bald - das wissen wir - durch die Wirklichkeit des Jahres 1914 für
immer zerstört sein.
1913 ist eine
Ansammlung von Fragmenten, die auch beim Lesen viele kleine splitternde
Eindrücke hinterlässt, welche sich dann zu einem überwältigenden
Gesamtschauspiel zusammenfügen. Dann schließt man den Buchdeckel und wundert
sich, ob man eben auf der Straße nicht zufällig dem Sigmund Freud oder Oskar
Kokoschka unserer Zeit begegnet ist...
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